Wie werben wir für das Grundeinkommen?

Der Ausgang der Bundestagswahl und die nachfolgenden Koalitionsverhandlungen haben gezeigt, es gibt ein durchaus realistisches Szenario: das Bündnis Grundeinkommen zieht bei der nächsten Wahl in den Bundestag ein und wird Koalitionspartner in einer Regierung. Wie Umfragen immer wieder bestätigen, ist die Mehrheit der Deutschen für ein Grundeinkommen, sodass sich mit einer geschickten Zweitstimmenkampagne die 5%-Hürde durchaus knacken ließe. Man denke nur an den ad-hoc-Erfolg der Piratenpartei. Natürlich würde ein Juniorpartner der Koalition nicht zur Bedingung machen können, dass die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens auf die Agenda gesetzt wird, aber das Anschieben einer gesamtgesellschaftlichen Debatte, das Einsetzen einer Enquetekommission und die Erstellung wissenschaftlicher Studien würde man sich schon ausbedingen können. Das wäre immerhin ein Anfang. Um dorthin zu kommen, braucht es jedoch eine belastbare Strategie für Öffentlichkeitsarbeit und Wahlkampf. Ohne sie werden die sehr mächtigen Gegner leichtes Spiel haben; sie brauchen nur die aktuell vorhandenen Schwächen der Grundeinkommens-Bewegung für sich zu nutzen. Welches sind diese Schwächen?

  1. Unklare Argumentation in der öffentlichen Debatte

Wer als – zwar interessierter aber nicht mit der Materie vertrauter – Zuhörer der Debatte folgt, muss den Eindruck gewinnen, dass die Sache mit dem Grundeinkommen zwar eine gute Idee, aber noch völlig unausgegoren ist. Seine Schlussfolgerung: Keine Experimente! Nun wird es sich nicht vermeiden lassen, dass Jemand, der für die Idee des Grundeinkommens wirbt, seine persönliche Sicht der Dinge darstellt und sich dabei auf das konzentriert, was ihm selbst am wichtigsten und faszinierendsten scheint. Das steht ihm frei, denn wir leben in einem freien Land. Leider ist es aber so, dass auch diejenigen, die als Repräsentanten einer Partei, Bewegung oder Institution in der öffentlichen Debatte auftreten, ebenfalls mit teilweise konträren Argumenten und vor allem mit ganz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung agieren. Besonders gern wird das individuell favorisierte Grundeinkommensmodell in allen Details dargestellt, und das sieht nun mal jeder etwas anders. Der Eindruck der Unausgegorenheit entsteht also zwangsläufig.

  1. Eingehen auf die Frage nach dem Finanzierungsmodell

In jeder Debatte versuchen die Gegner des Grundeinkommens, die Nichtfinanzierbarkeit zu beweisen, meistens mit Erfolg. Erfolg bedeutet in diesem Fall: es gelingt ihnen, die Zuhörer davon zu überzeugen, dass es nicht finanzierbar ist. Die Befürworter sind immer im Nachteil, denn sie müssten den einfachen und – aus Sicht der Zuhörer – plausibel erscheinenden gegnerischen Argumenten detaillierte Zahlen und Modellrechnungen entgegensetzen. Dafür fehlt in der Regel sowohl die Zeit als auch die Aufnahmebereitschaft der Zuhörer. Man unterliegt also in jedem Fall, entweder wegen geringerer Sachkenntnis oder weil die Debatte mit Zahlen und Details überfrachtet wird. Die präsentierten Fakten kann in diesem Moment ohnehin niemand überprüfen, und für den Faktencheck am nächsten Tag interessieren sich die Wenigsten. Es gewinnen also nicht die besten Argumente, sondern die beste Rhetorik.

  1. Dogmatische Ansätze

Leider treten einige Anhänger des BGE in geradezu militanter Weise für ihre Ideen ein. Sie erwarten, dass deren humanistischer Hintergrund Jede und Jeden überzeugen muss, so wie sie selbst davon überzeugt sind. Dem ist aber nicht so. Voraussetzung für Überzeugung ist Verstehen, und die meisten Menschen haben noch nicht verstanden, worum es dabei geht. Es wäre fatal, die ersten Schritte – Interesse wecken + Verständnis aufbauen – zu überspringen und die dafür erforderliche langwierige Debatte zu meiden. Parolen wie „Bedingungsloses Grundeinkommen – Jetzt!“ erschweren nicht nur diese Debatte, sie drohen, der Grundeinkommensidee permanenten Schaden zuzufügen. Die Einführung eines BGE ist nur denkbar, wenn die sehr große Mehrheit der Menschen dem zustimmt. Dies lässt sich nur auf dem Weg der öffentlichen Meinungsbildung erreichen, der, wie die Erfahrungen in der Schweiz zeigen, ein sehr langer ist.
Ein Grundeinkommen mit aller Macht durchzusetzen, selbst wenn die Stimmverhältnisse das erlauben würden, wäre der größte Fehler. Die Idee muss in den Köpfen aller Menschen verankert sein, und sie müssen ihr aus tiefer Überzeugung zustimmen. Machen wir uns bewusst, dass es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, wie es sie noch nie gab! Steht auch nur eine relevante Minderheit dem ablehnend gegenüber, würde die Einführung des BGE ins Fiasko führen und die Idee wäre für immer beschädigt.
Ein weiterer und beliebter dogmatischer Ansatz ist der Verweis auf die humanistische Idee hinter dem Grundeinkommen. Daraus werden dann Verhaltensregeln für die Menschen abgeleitet. Die Reichen sollen mehr Solidargefühl zeigen. Erwerbsarbeit ist eine nicht mehr zeitgemäße Form, sein Leben zu gestalten. Verzicht täte uns allen gut. Und so weiter. Die gegnerische Seite wird dann sofort die Frage stellen – und zwar zu Recht – ob man sich jetzt zur moralischen Instanz aufschwingen will und sich berufen fühle, einen neuen Ethikrahmen für die Gesellschaft zu erstellen. Nach diesem Totschlagargument ist man erledigt und kann die Diskussion beenden. Wer also zu Sozialromantik neigt, sollte sich an der Debatte um das Grundeinkommen besser nicht beteiligen; er wird der Sache nur schaden. Zur Klarstellung: all diese Ideen sind gut und richtig; ich selbst betrachte mich als deren leidenschaftlichen Anhänger. Aber die Prozesse, die sie Wirklichkeit werden lassen, vollziehen sich in sehr langen Zeiträumen, über viele Generationen hinweg.

  1. Fehlende Aufgeschlossenheit für Kompromissvorschläge

Mit dem vorherigen Punkt in engem Zusammenhang steht die häufige Erscheinung, dass alle Vorschläge, die nicht mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmen, kategorisch abgelehnt werden. Auch Lösungsansätze von Leuten, die eigentlich dasselbe wollen – mehr Gerechtigkeit und Abbau sozialer Unterschiede – werden als inkonsequent abgetan, nur dazu angelegt, das Bestehende zu konservieren. Dabei wird nicht geprüft, ob es sich um potentiell Verbündete handeln könnte, mit denen man auf dem Weg zum BGE ein Stück voran käme.

Versuchen wir nun, daraus ableitend, Ansätze für eine Strategie in der öffentlichen Debatte zu entwickeln. Hier einige Empfehlungen, wie Sie in der Diskussion agieren sollten.

  • Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir müssen eine Argumentationskette aufbauen und strikt bei dieser bleiben. Nichts ist so schädlich wie eine ständig wechselnde Debatte und ständig neue Ideen. Stehen Sie konsequent zu den von der Grundeinkommensbewegung vertretenen Grundsatzpositionen. Gehen Sie nicht davon aus, dass die Zuhörer das alles schon wissen! Es ist ganz anders: wenn man glaubt, jetzt müsse es auch der Letzte begriffen haben, beginnen gerade mal die Ersten, es zu begreifen.
  • Geduld und Ruhe zahlen sich aus. Das ist leichter gesagt als getan; Ignoranz und Unfairness in der Debatte können einen leicht aus der Bahn werfen. Aber gehen Sie mal die Gästeliste der einschlägigen Talkshows in Gedanken durch und beurteilen Sie, wer das Publikum am meisten überzeugt. Das sind nicht die Schreihälse und Dogmatiker, auch wenn das gern behauptet wird. Die wenigen Politiker und Experten, die mit Ruhe und Sachverstand agieren, siegen meist nach Punkten: Sarah Wagenknecht, Hans-Werner Sinn oder der unvergessliche Peter Scholl-Latour sind einige Beispiele.
  • Verantwortung für das Land zeigen. Machen Sie in jeder Diskussion deutlich, dass es nicht darum geht, bestimmte Ideen durchzusetzen, sondern dafür Sorge zu tragen, dass die Gesellschaft die richtige Entscheidung trifft. Und das kann auch eine Entscheidung gegen das Grundeinkommen sein, wenn die Zeit dafür nicht reif ist. Weisen Sie ruhig auf die mangelhafte Kenntnislage hin (die sich in der Diskussion, in der Sie sich gerade befinden, sicher erneut bestätigt hat). Zeigen Sie Bereitschaft, kleine Schritte zu gehen, um die Unwägbarkeiten eines BGE begrenzt zu halten.
  • Nicht auf Modelldebatten einlassen. Wie oben schon begründet, sind Modelldebatten immer kontraproduktiv. Lehnen Sie sie ab mit der Begründung, dass Modelle erst dann seriös konzipiert werden können, wenn die Rahmenbedingungen klar sind. Es hat keinen Sinn, über steuerliche Kosmetik zu streiten, solange die beiden Hauptfragen nicht verlässlich beantwortet sind:
    1. Wie wird sich das Arbeitsverhalten der Menschen durch ein BGE verändern?
    2. Wie wird sich die Bedürfnisstruktur der Gesellschaft in naher Zukunft entwickeln?

Mit anderen Worten: welche wirtschaftliche Leistungskraft kann aufgebracht werden, und wie viel wird überhaupt benötigt? Ohne dass wir dazu halbwegs verlässliche Aussagen haben, sind alle Finanzierungsmodelle Milchmädchenrechnungen.

  • Kompromissbereitschaft bringt Punkte. Aus eben genanntem Grund dürfen auch Sie nicht so tun, als stünde der Einführung eines BGE nichts im Wege, als wären alle Fragen beantwortet. Deshalb sollten Sie sich kompromissbereit zeigen gegenüber allen Vorschlägen, die dazu angetan sind, Antworten zu finden, die helfen könnten, das Grundeinkommen in der öffentlichen Debatte warm zu halten und eine gesellschaftliche Situation herbeizuführen, in der das BGE machbar wäre. Ein solcher Vorschlag ist beispielsweise der des Berliner Bürgermeisters Michael Müller zum sogenannten „Solidarischen Grundeinkommen“. Es wird von den Verfechtern des BGE meist abgelehnt, weil es die Kriterien des Grundeinkommens nicht erfüllt und somit den Begriff verwässert. Das ist richtig, dennoch sollte man sich, gerade in der öffentlichen Debatte, dem Gedanken nicht kategorisch verschließen. Wenn auch der Weg nicht der gleiche ist, das Ziel des „Solidarischen Grundeinkommens“ sollte auch unser Ziel sein: Armut und Ungleichheit zu verringern.
  • Die Gegner wissen nicht mehr als wir. Vor allem werden immer wieder Argumente gebracht, die auf fehlender Kenntnis des BGE-Grundgedankens beruhen. Nutzen Sie diese Schwäche, indem Sie sich auf folgende Einwände vorbereiten:

„Es hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, wenn Milliardären derselbe Grundeinkommensbetrag zusteht wie dem Fabrikarbeiter oder der Minijobberin.“ Dass das grober Unfug ist, dürfen Sie natürlich nicht sagen. Stattdessen erläutern Sie (aus der Position der Stärke heraus und deshalb ganz ruhig) dass der Milliardär durch das angepasste Steuersystem ungleich stärker belastet wird, sodass das Grundeinkommen, das er, so wie jedes Mitglied der Gesellschaft, bezieht, über die von ihm bezahlte Steuer wieder abfließt. Dieses Prinzip ist so einfach, dass man es auf einem Bierdeckel erklären kann. Zur Illustration können Sie auch auf den Grundeinkommensrechner verweisen und das benutzte Beispiel kurz durchrechnen.

„Die Ökonomen sind sich einig, dass ein BGE nicht finanzierbar ist.“
Erstens ist die Aussage nicht richtig. Angesehene Ökonomen, wie Thomas Straubhaar oder Götz Werner, haben die Finanzierbarkeit ausführlich begründet. Zweitens können wir Entscheidungen über die Zukunft der Gesellschaft nicht den Ökonomen überlassen. Wenn die Gesellschaft das Grundeinkommen will, dann ist es auch finanzierbar. Schließlich bedeutet es ja nur eine andere Form der Verteilung des gesellschaftlichen Vermögens und nicht a priori einen Mehrbedarf.
An dieser Stelle sollten Sie auch die Argumente anbringen, die weiter oben unter „Modelldebatte“ genannt wurden.

„Was Sie da vorschlagen, ist Kommunismus, und wir wissen alle, wo das hinführt.“
Ihre Antwort: „Nein, ist es nicht. Kommunismus ist die Idee von einer klassenlosen Gesellschaft, in der das Privateigentum abgeschafft und der Staat somit überflüssig geworden ist. Hat mit unserem Thema also gar nichts zu tun. Im Gegenteil: das Grundeinkommen braucht einen starken Staat und eine starke Wirtschaft.“

Zeigen Sie sich integer. Dies ist die wichtigste Empfehlung. Mehr denn je sehnen sich die Menschen nach Konsens und Harmonie. Versuchen Sie also, die Vertreter aller Schichten und Gruppierungen ins Boot zu holen. Verweisen Sie auch darauf, dass Alle davon profitieren, wenn sie in einem Land leben und arbeiten können, in dem sozialer Friede herrscht. Gehen Sie vor allem auf die Wohlhabenden zu. Verschweigen Sie nicht, dass die gewiss einen größeren Beitrag zum BGE erbringen müssten, aber machen Sie ihnen klar, dass sie gebraucht werden, dass ohne ihre Leistungsfähigkeit und ihre Bereitschaft zu teilen eine solidarische Gemeinschaft und somit auch das BGE von vornherein zum Scheitern verurteilt wären. Aber versuchen Sie nicht, sie in die moralische Pflicht zu nehmen. Der Mensch gibt lieber, wenn er darum gebeten wird, als wenn man ihn dazu verpflichtet.


[i] Interview mit Susanne Wiest für „Magazin Futur Zwei“, März 2018